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Auf Entzug – Festival-Junkies während der Pandemie Part I

Homeschooling/-office, Maske tragen, Restaurant-Besuche verboten – die Pandemie-Bekämpfungsmaßnahmen hatten (und teilweise haben noch) Auswirkungen auf fast jeden Teil unseres Lebens. Der einschneidendste Part für einen Festival-Junkie: das Verbot der Festivals. Was passiert mit den Menschen, die sonst fast jedes Wochenende auf einem Festival waren? Was stellen sie mit all dieser Zeit, Energie und dem Geld stattdessen an – und vor allem wie geht es ihnen dabei? Bricht die Welt zusammen oder bricht das Leben aus ihnen heraus? In zwei Teilen geben uns die einen Einblick, die in den letzten Monaten ihr zweites Zuhause verloren haben.

Karsten Kremer (30, Hopsten, NRW): „Ohne Festivals wurde die Beziehung sehr schnell intensiv – wir erwarten ein Kind!“

„Als alle Festivals abgesagt wurden, war es natürlich erstmal ein heftiger Schock für mich. Ich habe auf Shockerz 2019 meine Freundin kennen gelernt und seit Januar haben wir uns fast jedes Wochenende gesehen. Trotz Corona hatten wir viele positive Dinge, zum Beispiel haben wir einen Roadtrip durch Frankreich gemacht. Dadurch, dass es keine Festivals gibt, wurde die Beziehung sehr schnell intensiv. Was natürlich für diese Zeit spricht, definitiv.

Noch wohnt meine Freundin in Oss, aber im Oktober erwarten wir ein Kind und in den nächsten zwei, drei Monaten zieht sie nach Deutschland. Ich kann die Corona-Zeit also nicht so schlecht sehen. Blöd ist nur, dass man keine größeren Menschenmengen um sich haben kann. Was für uns aber sehr gut war und ist, weil man sich dadurch viel mehr auf die gemeinsame Beziehung konzentriert.“

„Es gibt viele Dinge, die ich vielleicht mit dem Feiern nicht so schnell gemacht hätte.“

„Außerdem habe ich mich selbstständig gemacht und viel mehr gearbeitet. Dadurch, dass ich mich am Wochenende darauf konzentrieren konnte, läuft das alles sehr gut. Jetzt kann ich mir auch mal Sachen leisten, auf die ich sonst zwei, drei Monate hätte sparen müssen. Neue Hobbys habe ich in der Zeit nicht gefunden, aber ich habe mehr Fußball geschaut. Da ist also schon einiges, was ich der Pandemie-Zeit positiv zuschreiben kann. Meine Freundin und ich wollen jetzt auch ein Haus kaufen – also viele, viele Dinge, die ich vielleicht mit dem Feiern nicht so schnell gemacht hätte.

Davor war ich ja wirklich jedes Wochenende auf einem Festival und kannte da auch kein Halten. 2015 und 2016 war ich pro Jahr auf 54 Festivals. Es war ein Hobby für mich, das gemacht werden musste. Während der Pandemie habe ich nur die Livestreams von meinen Lieblingsacts angeschaut, aber auch nicht immer. Die Festivals fehlen und die ganzen Freunde, Bekannte, Feiergruppen – einfach das ganze Feeling.“

„Ich denke, es wird nie wieder so sein, wie es vorher mal war.“

„Natürlich vermisse ich es, aber ich denke, es wird nie wieder so sein, wie es vorher mal war. Ich werde auch nicht der Erste sein, der auf einem Festival rumlaufen wird, da ich jetzt erstmal die Schwangerschaft abwarte. Dann werde ich mit meiner Freundin – oder Frau, man weiß ja nicht… – schauen, welches Festival wir als Erstes wieder ansteuern. Da habe ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht.“

Sam Michaels (29, Bonn, NRW): „Mir geht es so viel besser, als jemals zuvor!“

„Für mich war die Pandemie eine super gute Zeit. Ich habe Anfang 2020 nach meinem langen Studium meinen ersten richtigen Job angefangen. Die Arbeit macht Spaß und ich habe viel Verantwortung. Ich kam von meinem Studienleben, bei dem ich jedes Wochenende feiern gegangen bin und ich musste mich natürlich umstellen. Deshalb kam für mich die Pandemie zum besten Zeitpunkt, zu dem eine Pandemie kommen könnte – weil sie mir die Versuchung genommen hat, zu viel feiern zu gehen.

Ich hab das Positive aus der Situation gezogen: Ich bin sehr aktiv geworden, was ich vorher nicht war. Ich habe meine Liebe zu Sport und Spazieren gehen entdeckt und so einen Ausgleich gefunden. Sport hatte ich davor nicht als Hobby, jetzt ist es essentieller Bestandteil meines Lebens geworden. Ich mache fünf bis sechs Mal pro Woche Fitness, habe auch wieder meine Liebe zum Kochen gefunden und ernähre mich gesünder. Ich bin so froh darüber, weil es mir einfach so viel besser geht, als es mir jemals zuvor ging. Das ist wirklich geil und freut mich sehr.“

„Outdoor, 13 Uhr, 20 Grad, Bier in der Hand – es gibt nichts Besseres auf dieser Welt.“

„Trotzdem ist es sehr hart nicht auf Festivals zu gehen und ich vermisse es sehr. Gerade an so an einem Tag mit gutem Wetter. Es gibt nichts, was ich mir lieber wünschen würde, als einfach draußen mit meinen Freunden auf einem Festival zu sein. Outdoor, 13 Uhr, 20 Grad, Bier in der Hand – es gibt nichts Besseres auf dieser Welt. Zum Glück kommt es aber wieder.

Autopartys finde ich überhaupt nicht gut als Festivalgänger. Als Support für die Eventindustrie kann ich es noch verstehen, aber zum Feiern ist es für mich keine Alternative. Livestreams würde ich niemals alleine anschauen, nur zusammen mit Freunden, wenn es nebenher läuft. Aber es ist natürlich nicht das Gleiche, wie feiern zu gehen.“

„Werden die Festivals den gleichen Stellenwert wie davor haben? Ja und nein.“

„Ob die Festivals den gleichen Stellenwert wie davor haben werden? Ja und nein. Die Musik ist alles für mich, ich lebe für die Musik – das definitv. Nur die Häufigkeit der Festivals wird bei mir geringer sein. Es wird sicher eher auf einmal im Monat anstatt jedes Wochenende beschränken, das hat aber mehr mit der Arbeit zu tun. Ich habe zwar keine Lust, mich am Wochenende zurückzuhalten, habe aber auch keinen Bock, jeden Montag voll kaputt zur Arbeit zu gehen. Deshalb muss ich schauen, wie es sich ausbalancieren wird. Wenn ich einen guten Weg finde, sodass ich sonntags wieder fit bin, dann kann ich auch öfter feiern gehen. Aber das schaue ich, wenn es soweit ist.“

Wie habt ihr die Pandemie erlebt? Wie stark waren eure Entzugserscheinungen während des Festival-Entzugs und was habt ihr mit all der Zeit angestellt, die ihr sonst auf Events verbracht hättet? Lasst es uns gerne in den Kommentaren wissen!

Es sieht gut aus, dass die Durststrecke bald ein Ende hat und diesen Sommer wieder Festivals unter recht normalen Bedingungen starten können. Unter anderem haben Harmony of Hardcore und Decibel outdoor grünes Licht für 2021 gegeben. Welche Auswirkungen die Pandemie auf die kommenden Festivals neben den obligatorischen Maßnahmen haben könnte, lest ihr hier.

Leo S
“This is the Sempiternal Uprising"

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