Titelfoto credit: Wanyama-photo
Ryan Biggs, besser bekannt als Delete, ist tot. Elf Tage ist es her, dass diese Schocknachricht publik wurde. Die unfassbare Menge an Erinnerungen, die seit diesem Tag in den sozialen Medien zu finden ist und die Momente, in denen DJs ihm in ihren Sets Tribut zollen, lässt erahnen, wie groß die Trauer ist – und welche Lücke er hinterlässt. Der Schmerz bleibt. Seine unvergleichliche Musik ebenso. Ein Nachruf, der niemals hätte geschrieben werden sollen.
Dieser Mann mit dem australischen Akzent, dem zarten Gesicht und den brachialsten Kicks: Delete war ein Mensch, der einmal gesehen und gehört, im Kopf blieb. Weit mehr als ein Jahrzehnt in der Szene, hat er Raw Hardstyle nicht nur geprägt – sondern mitkreiert und so maßgeblich zu der Entwicklung sowie dem Erfolg des Genres beigetragen, welches wir so sehr lieben. Gemeinsam mit seinem Kumpel Vazard gründete er im Jahr 2010 Spoontech Records – und hat damit den Grundstein für sein Raw-Imperium gelegt, das er daraufhin aufbaute. Seine früheren Tracks wie ‚D‘ (auf der ultimativ legendären Pure Spoonage EP zusammen mit Vazard im Jahr 2010), ‚Malfunction‘ (2010) und ‚Formula‘ (2011) entstanden, und das war erst der Anfang.
Als der erfolgreichste australische Export zog er 2013 in die Niederlande, um seinen Traum als DJ und Producer in der Hardstyle Szene zu verfolgen. In den Jahren darauf folgten Tracks wie ‚Ghetto‘ (2014), ‚Just Do It‘ (2015), ‚The World Is Yours‘ und ‚Absolute Terror‘ (mit Vazard und Main Concern, beide 2016). Wenn man sieht, wie einwandfrei die Tracks auch heute noch auf den Partys funktionieren, ist es unglaublich zu wissen, wie (verhältnismäßig) „alt“ sie eigentlich sind. Es macht einmal mehr deutlich, was für einen zeitlosen und unvergleichen Sound er erschaffen hat. Nicht wenige Fans brachen immer wieder in regelrechte Freudentänze aus, wenn sie ein heiß ersehntes Delete Classics Set auf dem Line-up entdeckten. Unvergessen bleiben seine Auftritte wie auf We Are Hardstye 2018 und nicht zuletzt sein finales Set auf Rebirth 2022 – dankbar sei, wer das erleben durfte.
Mit seinem Drang sich selbst immer wieder zu toppen, noch krasser und noch besser zu sein, setzte er mit Delete VIP noch einen drauf. Er erschuf einen Act, mit dem er nicht nur den Boden zum Beben brachte, sondern auch offensichtlich mehr als einen seiner Kollegen inspirierte. Nach seiner ersten VIP Performance auf Supremacy 2015 folgten viele weitere, hochgeschätzte und noch mehr gefeierte VIP Sets, wie beispielsweise auf Qapital 2016 – oder das legendäre Set auf Defqon.1 2019, das er genau zur gleichen Zeit wie die Endshow spielte. Wer glaubt, die BLUE sei auch nur annährend leer gewesen, irrt sich nicht nur in Delete, sondern auch in seinen Fans. Q-dance muss sich sicher gewesen sein: Wenn es einer schafft, die BLUE voll zu machen, während die Endshow läuft, dann ist es Delete.
Egal ob Spoontech Records, Theracords oder End of Line – Delete berichtet von Verständnis und guten Verhältnissen seiner Labels und dafür dürfen wir dankbar sein. Im Jahr 2017 folgten dann Tracks wie ‚Munky Shit‘, ‚The Power‘, ‚Sucka For Pain‘ (mit Outbreak) – und ‚Unstoppable‘ (mit Deetox), der bis heute – vor allem heute – eine besondere Bedeutung hat. Jeder Track ist eingeschlagen wie eine Bombe, und das bereits beim allerersten Mal, als er live gepielt wurde. ‚Explosions‘ (mit Vazard), ‚Take It Back‘, ‚V1P‘, ‚ W4RR1OR‘ (mit Chris One) und ‚V2P‘ ebneten den Weg 2018 für ein weiteres kräftezehrendes Highlight, das noch im selben Jahr aufkam: sein Album Alpha Omega.
„I never explained the reason for me delaying the album, but I had a burnout. I tried to make the album much bigger than it was (which in hindsight was stupid of me) and it was really apparent I had some serious underlying mental issues which made it incredibly hard to manage this project.“ Kein Track, kein Album, keine Party – nichts auf der Welt ist das wert – und doch ist das leichter gesagt und geschrieben, als gedacht und getan. Ohne den grandiosen Erfolg der Album Party und die explosive Stimmung der Nacht auch nur um ein Grad schmälern zu wollen, kommt man nicht um diesen bitteren Nachgeschmack umher. Delete, die Album Party war unvergleichlich, unfassbar und unvergesslich. Was du unter anderem mit ‚Victorious‘, ‚Don’t Hold Back‘ (mit MC Livid), ‚Lunatic‘, ‚Disco Weapon‘ (mit Killshot) und nicht zuletzt ‚Payback‘ (mit Tha Watcher) geleistet hast, geht in die Harder Styles Geschichtsbücher ein. – DANKE.
Es war ein Feuerwerk in Form einer Party, bevor es irgendwann langsam ruhiger wurde. Dann kam Corona, es kamen Lockdowns und die Isolation, es kam für uns alle und ganz besonders auf diejenigen, die sowieso schon kämpfen, eine besondere – besonders dunkle – Zeit auf.
Delete: WE ARE UNSTOPPABLE!
Delete ist seinem Musikstil immer treu geblieben. Selbst bei seinen Anthems ‚Until We Die‘ für Fatality 2017 (gemeinsam mit Nolz) und ‚Freedom‘ für das Free Festival 2019 verbog er sich nicht und bewies, wie erfrischend und bemerkenswert es ist, eine Anthem zu erschaffen, die über das Übliche hinaus geht und dennoch ein Hymnen-Feeling kreiert.
Seine Posts auf Social Media waren in den letzten Jahren herzzerreißend – und sind es jetzt noch mehr. Die Entschuldigungen, mit denen er in jedem Posting um sich schmeißt, sind nicht nur rückblickend kaum zu ertragen. Er war niemandem irgendetwas schuldig. Seine Ehrlichkeit über seine psychischen Schwierigkeiten, gepaart mit einer hoffenden Zuversicht: „It’s been a long time, but we are almost out of the darkness, and heading into the light. Take my hand and we“ll guide each other.“ (Juli 2021). Seine Entschuldigungen für seine Abwesenheit – gepaart mit hoffenden Beteuerungen: „Sorry for being so quiet and cancelling bookings. It was hard to post about but I’ll be back in the game ASAP. For sure this time! Love you all for your patience and support!“ (November 2021). Seine freudige Rückkehr – gepaart mit hoffenden Versprechungen: „My rebirth process has begun! I’m so grateful for all my fans that have stuck with me the past few years while I was silent. I’ll make sure it was worth the wait. WE ARE UNSTOPPABLE!“ (April 2022)
Es ist niederschmetternd, wenn man daran denkt, dass manche seiner Musikkollegen sagten, dass sie künftig die Zusammenarbeit mit ihm meiden werden, da er unzuverlässig sei. Oder dass Personen genervt waren, als er beispielsweise zum Supremacy-Set kurzfristig nicht erschien. Diejenigen hatten ganz offensichtlich den Ernst der Lage nicht begriffen. Es ist für einige nicht zu begreifen, dass es nichts mit Unzuverlässigkeit zu tun hat, wenn ein Track nicht zum vereinbarten Zeitpunkt fertig ist, wenn ein Auftritt exakt zu Beginn der Show abgesagt werden muss oder wenn die Social Media Kanäle still stehen – sondern dass dies Symptome einer schweren Krankheit sind.
Dass genau diese Situationen und Verhaltensweisen von den meisten Menschen nicht nachempfunden werden können, ist ein Hinweis darauf, dass die betreffenden Personen glücklicherweise nichts mit den Gefühlen und Gedankensträngen zu tun haben, die eine depressive Person hat. Rückblickend werden sich sicher einige schuldig fühlen, wie sie über ihn und vermeintliche „Enttäuschungen“ seinerseits gedacht hat. Und wahrscheinlich werden sie Scham empfinden, ihren Wunsch nach einem Delete-Set über das Verständnis einer derart tragischen Krankheit gestellt zu haben. Er war niemandem auf der Welt etwas schuldig und gleichzeitig war anscheinend sein intrinsischer Anspruch an sich selbst und sein Perfektionismus Teil seines getriebenen Charakters. Selbst die Idee, das VIP-Konzept ruhen zu lassen, um Druck, Stress und Anspruch herunterzufahren – scheiterte. Es schien, als sei die Grenze, an die er stieß, der Gedanke daran, was er erreichen kann und was er damit seinen Fans bescheren könnte.
Delete’s allerletztes Set war das beste das er jemals aufgelegt hat
Als Delete am Rebirth Festival nicht pünktlich zu seinem Set erschien und Cryex den Anfang übernahm, haben einige Fans die Stage verlassen, aus Enttäuschung den Raw-Gott nicht höchstpersönlich empfangen zu dürfen. Die Reue, das vorletzte Set seines Lebens dadurch verpasst zu haben, ist ein bitterer Schmerz. Dass er eine Viertelstunde nach dem eigentlichen Beginn seiner Settime auf die Bühne kam und spielte ist mutig, tapfer, unglaublich stark und verdient den größten Respekt. Der Opening-Track des vorletzten Sets seines Lebens: ‚Alone‘ (mit Deetox).
Sein Auftritt einen Tag später auf der Classics Stage, welcher der letzte seines Lebens sein sollte, bot die Chance, die Reue über das verpasste Set am Vortag etwas bei Seite zu schieben. Das Set auf einer prall gefüllten Stage war DAS Highlight in der gesamten Geschichte des Hardstyles. Delete schien hochkonzentriert, fokussiert auf die Musik, auf die Tasten, auf die Regler. Und obwohl die Stimmung am ersten Weekend-Festival nach der Corona-Pause phänomenal war, war eine ungewöhnliche Schwere am DJ-Pult zu spüren. Es war sein allerletztes Set, es war das allerbeste, das er jemals aufgelegt hat und er endete es mit einem großen ‚D‘.
Er ist nicht nur Idol der Fans, sondern auch Vorbild und Inspiration so vieler Artists. Von Kollegen, Fans und Wegbegleitern wird er als warmherziger, supportender, bodenständiger, netter und wertschätzender Mensch beschrieben. Nicht nur jetzt nach seinem Ableben, sondern jederzeit. Seine einzigartige Art Musik zu machen, seine kraftvollen, druckvollen und vollmundigen Kicks, machen ihn nicht nur zu einem Pionier in Sachen Raw Hardstyle, sondern begeistern auch heute Musikliebhaber jenseits der 150 bpm.
Die Energie, die durch die Hallen strömte, wenn Delete gespielt hat, die Power, die durch seine kreierten Töne entstand, die Hitze, die brodelte, sobald die ersten Töne erklangen, die Atmosphäre, die er durch seinen außergewöhnlichen Drive kreierte – all das und noch viel mehr machen ihn zu einem der talentiertesten und besondersten Artists in dieser Szene – wenn nicht zu DEM talentiertesten und besondersten. Die Perfektion, die Außergewöhnlichkeit, die Passion und der Ideenreichtum machen ihn zum absoluten Ausnahmekünstler. Seine Offenheit, Authentizität und seine offensichtlich ehrliche Freundlichkeit gegenüber seinen Fans machen ihn zum Liebling der Harder Styles Lovers.
Die Lücke die Delete hinterlässt wird nie wieder zu füllen sein
Die Symptome einer Depression sind keine Unzuverlässigkeit, keine Faulheit und kein Zeichen von Desinteresse. Depression ist keine Schwäche. Depression ist kein Tabuthema. Depression ist keine Lappalie. Depression ist eine hochgradig gefährliche Krankheit. Verurteilungen dürfen nicht stattfinden und wir dürfen niemals vergessen, dass wir in den allermeisten Fällen – genauso wie jetzt – absolut keine Ahnung haben.
Das allerschlimmste, das auf der Welt passieren kann, ist eingetreten. Es ist unendlich traurig und nie wieder gut zu machen. Der Schmerz ist unerträglich und wird niemals vergehen. Die Lücke, die er hinterlässt, ist unermesslich groß und es wird niemals möglich sein, sie wieder zu füllen. Es tut so weh zu wissen, dass wir ihn nie wieder auf einer Bühne sehen und nie wieder neue Musik von ihm hören werden. Aber am meisten tut es weh, ihm seine Last nicht haben nehmen zu können. Das Einzige, das hilft diesen Verlust zu überstehen, ist die Hoffnung, dass er nun seinen Frieden gefunden hat.
Der Anspruch, die Lesenden mit einem guten Gefühl aus dem Artikel zu entlassen, ist in diesem Fall unmöglich. Es ist der absolute Supergau, der wahr gewordene Albtraum, die reale Tragödie in Extremstform und die dunkelste Dunkelheit, die die Harder Styles Szene jemals erfahren hat.
Ryan Biggs – Delete – Ruhe in Frieden, du hast ihn dir mehr als verdient. Die Harder Styles Szene wird nie wieder die gleiche sein. Die Sonne auf einer Open-Air-Stage wird ohne dich nie wieder so hell scheinen, die Farben in der Welt werden ohne dich nie wieder so leuchten, die Musik wird nie wieder so erfüllend sein – die Festivals ohne dich werden nie wieder so unbeschwert sein. Du fehlst schon jetzt so unfassbar sehr und du wirst noch mehr fehlen, desto mehr Zeit vergeht. Du wirst niemals vergessen sein und uns immer in allerbester Erinnerung bleiben. Du bist unser VIP und wir werden für immer durch deine Musik mit dir verbunden sein. Wir lieben dich und vermissen dich so sehr.
Die Familie von Ryan hat eine Spendenkampagne auf GoFundMe aufgesetzt, um ihn zu sich nach Hause nach Australien zu holen, um ihn dort zu beerdigen. Das Spendenziel in Höhe von 20.000 AU$ wurde in kurzer Zeit um mehr als das doppelte übertroffen. Wenn du möchtest, kannst du sie dennoch noch unterstützen. Die Spendenkampagne findest du hier, dort hast du auch die Möglichkeit unterstützende Worte zu hinterlassen.
***Wenn du mit psychischen Problemen kämpfst, bitte sprich mit einer Vertrauensperson und wende dich an offizielle Hilfestellen oder deinen Hausarzt. Die Telefonseelsorge ist Tag und Nacht, 365 Tage im Jahr unter der 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222 erreichbar. Sich Hilfe zu holen ist keine Schwäche, es ist eine Stärke. Du bist es wert, du bist wertvoll und ohne dich wäre die Welt ein trauriger Ort.***